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KOMMUNAL DIREKT November / Dezember 2016

ENERGIE & UMWELT

51° 27‘ 5“ nördliche Breite, 9° 10‘ 57“ östliche

Länge: Knapp 30 Kilometer nordwestlich von

Kassel, amRanddesNaturparksHabichtswald

und an der Grenze zwischen Hessen und

Nordrhein-Westfalen, liegt dasDorfWettesingen.

Der 1152-Einwohner-Ortsteil der Gemeinde

Breuna mit seinen schönen, denkmalge-

schützten Fachwerkhäusern ist im Rest der

Republik nicht sonderlich bekannt. Doch

das könnte sich ändern: Wettesingen ist

eines der größten Bioenergiedörfer in

Deutschland. Mehr als die Hälfte der ca. 370

Haushalte bezieht seine Heizenergie über

ein Nahwärmenetz aus unweit gelegenen

Heizzentralen, die sich ausschließlich aus

nachwachsenden Rohstoffen speisen.

Attraktive finanzielle Perspektiven

Ein wichtiges Motiv, mitzumachen: Vier von

fünf Häusern imOrt sind Fachwerkbauten und

stehen unter Denkmalschutz, die sich – wenn

überhaupt – kaum zu vernünftigen Kosten

energetisch sanieren lassen. Bei sehr volatilen

Energiepreisen kann die komfortable Wärme

aus regionalenEnergieträgernproduziertwerden

und trägt somit zur Wertschöpfung vor Ort

bei. Die etwa sieben Cent je Kilowattstunde

Wärme, die sich beim Einsatz von Bioenergie

ergeben, bedeuten zum Projektstart eine Ein-

sparung von rund 30 Prozent gegenüber der

Ölheizung, pro Hausanschluss im Schnitt

etwa 1 500 Euro pro Jahr. Dass die Heizkosten

künftig unabhängig vom Ölpreis und damit

langfristig kalkulierbar sein würden, erhöht

die Attraktivität des Angebots.

Ebenfalls verlockend ist die Aussicht, sich um

nichts mehr kümmern zu müssen. Heizkessel-

wartung, Schornsteinfegergebühren, Moderni-

sierungsinvestitionen – all das kann der Haus-

besitzer künftig vergessen. Auf den knapp

bemessenen Grundflächen der hübschen

Fachwerkhäuser kommt schließlich noch das

Argument hinzu, den Heizraum und den

Öl-Lagerraum anders nutzen zu können. Die

Wärme-Übergabestation, die das Haus mit

dem Nahwärmenetz verbindet, beansprucht

gerade einmal den Platz eines wandhän-

genden Gasheizkessels. Angesichts dieser

Vorteile konnte sich eine große Zahl von

Hausbesitzern mit der Anfangsinvestition

von rund 4 500 Euro anfreunden.

Start mit 200 Haushalten

So kamdas Projekt Bioenergiedorf rasch voran.

Bereits im September 2010 gründeten die

Wettesinger ihre Energiegenossenschaft. In-

zwischen ist auch die Bauleitplanung der Ge-

meinde Breuna um den Bebauungsplan für

das „Sondergebiet Bioenergie Wettesingen“

erweitert. Zunächst wird das Nahwärmenetz

darauf ausgelegt sein, ca. 200 Haushalte im

Ortmit Heizenergie zu versorgen. 52Haushalte

werden bereits im ersten Durchgang ange-

schlossen, ca.137 weitere dann in den nach-

folgenden Bauabschnitten. „Rund 20 weitere

können wir noch kurzfristig aufnehmen“, so

Oliver-Marc Mende, Vorstandsmitglied der

Genossenschaft.

Gesamte Technik kommt von Viessmann

Zwei Besonderheiten zeichnen das Bioener-

gieprojekt im Naturpark Habichtswald aus.

ZumeinenwirdWettesingen als erstes deutsches

Bioenergiedorf seineWärme zuhundert Prozent

aus erneuerbaren Energien beziehen – selbst

für tiefe Wintertemperaturen ist keine Reserve-

heizung mit Öl- oder Gaskesseln vorgesehen.

Zum anderen liefert nur ein Ansprechpartner

die gesamte Anlagentechnik des Genossen-

schaftsprojekts. Vom Biogaskessel und dem

Blockheizkraftwerk über drei Holzpelletkessel,

drei Photovoltaikanlagen bis hin zum

Nahwärmenetz einschließlich der Übergabe-

stationen in den einzelnen Häusern: Alles

kommt von der Viessmann Group.

Die neuen Anlagen ergänzen das bisherige

Bioenergie-Angebot im Dorf. Denn für die

Wettesinger ist diese Technik keineswegs

Neuland. Bereits im März 2007 ging eine Bio-

gasanlage mit angeschlossenem Blockheiz-

kraftwerk (BHKW) am Dorfrand mit einer

Leistung von 500 Kilowatt in Betrieb. Diese

Anlage lieferte in erster Linie Strom, der in

das Netz des örtlichen Energieversorgers

E.ONeingespeist wurde. DieAbwärme diente

zunächst dazu, Holz und die Gärreste aus der

Biogaserzeugung zu trocknen sowie zwei

Wohnhäuser und den Schweinestall des

Landwirts Ingo Baake zu beheizen.

Wettesingen wird eines der größten Bioenergiedörfer

Ein Dorf macht Bio-mobil

Wärme zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien: Die Heizzentrale des Bioenergiedorfs Wettesin-

gen mit Pelletsilo und Heizwasser-Pufferspeicher.

Drei Pelletkessel Vitoflex 300 von Viessmann mit einer Gesamtleistung von 1.650 Kilowatt decken

den Spitzenbedarf an Heizenergie.