Unterlassene Instandhaltung, Gebäudeverfall

Bewertung kommunaler ImmobilienZahlreiche deutsche Kommunen sind gegenwärtig auf Grund ständig wachsender Ausgaben und rückläufiger Einnahmen zum Teil hoch verschuldet. Häufig werden laufende Ausgaben durch zusätzliche Kreditaufnahmen finanziert.
Den Schulden der Kommunen steht jedoch teilweise ein nicht unbeträchtliches Vermögen gegenüber. Einen wesentlichen Teil des kommunalen Vermögens machen Immobilien aus: Schulen, Kindergärten, Verwaltungs-büros, kulturelle Einrichtungen und sonstige Gebäude.
Die tatsächliche technisch-wirtschaftliche Nutzungsdauer übersteigt bei massiver Bauweise in vielen Fällen die für Zwecke der Handels- oder Steuerbilanz angenommenen wirtschaftlichen Nutzungsdauern von 50 bis 80 Jahren. Dies gilt zumindest dann, wenn die Gebäude regelmäßig und sachgerecht instandgehalten werden.Häufig werden Instandhaltungsmaßnahmen aber wegen fehlender Finanzmittel ausgesetzt oder nur unzureichend durchgeführt. Über die Jahre kann dadurch ein Instandhaltungsstau in Millionenhöhe entstehen. Unterlassene Instandhaltungen können zu einem Verfall der Gebäudesubstanz und damit zu einem erheblichen Vermögensschaden führen. Hiervon sind häufig Schul- und Verwaltungsgebäude betroffen; sie beanspruchen eine aufwendige Instandhaltung. Viele der in den 70er Jahren errichteten Gebäude müssen heute kostenintensiv von Schadstoffen wie Asbest und PCB befreit werden.

Ermessensspielraum bei der Gebäudebewertung

Mit der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements sind die Verwaltungen verpflichtet, eine Bestandsaufnahme und eine Wertermittlung des kommunalen Vermögens durchzuführen. Der Wert einer Immobilie wird im Wesentlichen durch die Größe, den Standard, das Alter und den baulichen sowie technischen Zustand des Bauwerks und der technischen Anlagen bestimmt. Die ersten beiden Faktoren, Größe und Standard, werden durch den Verwendungszweck beeinflusst und bei der Herstellung fixiert. Das Alter bestimmt den bei gebrauchsüblicher Beanspruchung anzunehmenden Alterswertminderungsfaktor. Der Gebäudezustand wird ferner wesentlich von der Häufigkeit und Qualität der durchgeführten Instandhaltungsmaßnahmen bestimmt.
Der mit der Gebäudebewertung befasste Sachverständige kann schon im Rahmen der Wertermittlung seinen Ermessensspielraum zielorientiert einsetzen. Der Gutachter kann nach WertV 1 die Methode der Alterswertminderung (beispielsweise linear oder nach Ross) bestimmen. Ferner können sich etwa bei einer Wertermittlung nach dem Sachwertverfahren alleine durch die Wahl der Abschreibungsmethode Differenzen in den Sachwerten und nachfolgend Abschreibungen von mehr als 20% ergeben. Weitere wesentliche Faktoren, die Ermessensspielräume beinhalten, sind die Abschätzung der Wertminderung auf Grund von unterlassener Instandhaltung sowie Marktwertanpassungsabschläge.

Wertminderung durch den Instandhaltungsstau

Häufig werden Baumängel nur anteilig entsprechend dem Restnutzungsdauerfaktor wertmindernd berücksichtigt. In der Praxis ist jedoch häufig davon auszugehen, dass die Maßnahmen vollständig durchgeführt werden müssen, um die geplante Restnutzungsdauer erreichen zu können (z.B. Dachsanierung, Fensteraustausch, Erneuerung von Elektro-, Heizungs-, Sanitär- und Lüftungsanlagen).
Wurde ein Instandhaltungsstau bei der Wertermittlung nicht vollständig wertmindernd (sondern nur entsprechend dem Restnutzungsdauerfaktor) berücksichtigt, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die später durchgeführten Sanierungsmaßnahmen den Gebäudemarktwert nicht in vollem Umfang entsprechend der Sanierungsaufwendungen erhöhen. Auch wenn die Sanierungsmaßnahmen grundsätzlich aktivierbar wären, ist in diesen Fällen eine (negative) Marktwertanpassung in Betracht zu ziehen. Diese kann u.U. dann unterbleiben, wenn die Baumängel zuvor bei der Wertermittlung vollständig durch einen entsprechend hohen Abschlag berücksichtigt wurden.
In dem nachfolgenden Beispiel werden zwei vergleichbare Objekte betrachtet: Gebäude A wurde bereits saniert; Gebäude B befindet sich noch vor der Sanierung.

Beispiel: Zwei Gebäude, jeweils 40 Jahre alt, Restnutzungsdauer 40 Jahre, Sanierungsbedarf EUR 1.000.000,-

Nutzungsdauer 80 JahreGebäude A Gebäude B

(Variante 1)
Gebäude B

Variante (2)
Baujahr196419641964
Zustand des GebäudesSanierung
abgeschlossen
Wertminderung
anteilig
Wertminderung
vollständig
(Wieder-) HerstellungskostenEUR 4.000.000EUR 4.000.000EUR 4.000.000
SachwertEUR 2.000.000EUR 2.000.000EUR 2.000.000
vollständige Wertminderung00EUR 1.000.000
anteilige Wertminderung0EUR    500.0000
GebäudewertEUR 2.000.000EUR 1.500.000EUR 1.000.000
Erforderliche Sanierung0EUR 1.000.000EUR 1.000.000
Rechnerischer Gebäudewert
nach Sanierung
EUR 2.000.000EUR 2.500.000EUR 2.000.000

Das Beispiel verdeutlicht: Werden bei der Erstbewertung von Gebäude B die ausstehenden Sanierungsmaßnahmen nur anteilig entsprechend dem Restnutzungsdauerfaktor wertmindernd berücksichtigt (Variante 1), führt die vollständige Sanierung (bzw. Aktivierung der Sanierungsaufwendungen) zu einem zu hohen Gebäudewert. Die Verfahren liefern nur dann vergleichbare Ergebnisse, wenn in der Bewertungsvariante 1 für Gebäude B ein Marktwertanpassungsabschlag von EUR 500.000 berücksichtigt wird.
Sind Sanierungsmaßnahmen konkret beabsichtigt, besteht die Möglichkeit, den Instandhaltungsstau bei der Gebäudewertermittlung im Rahmen der Eröffnungsbilanz nicht wertmindernd zu berücksichtigen. Voraussetzungen hierfür sind, dass eine detaillierte Planung der Sanierungsmaßnahmen für einen Zeitraum von maximal drei Jahren nach dem Eröffnungsbilanzstichtag vorliegt und für die Kosten dieser Maßnahmen Rückstellungen in der Eröffnungsbilanz gebildet werden. Werden die Sanierungsmaßnahmen, für die Rückstellungen gebildet wurden, nicht durchgeführt, müssen im Wege einer außerplanmäßigen Abschreibung des Gebäudewerts die nicht erforderlichen Rückstellungen erfolgsneutral aufgelöst werden. Allerdings haben dann die zwischenzeitlich eigentlich zu hohen Abschreibungen den Haushalt belastet, da sie auf der Basis des ursprünglich höheren Gebäudewertes kalkuliert wurden. Daher sollte die Bildung von Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen stets auf der Grundlage einer sorgfältigen und konkreten Planung erfolgen.

Ermittlung der Sanierungskosten

Eine Wertminderung wegen Bauschäden lässt sich gemäß § 24 WertV durch die folgenden Verfahren berücksichtigen:

  1. Kürzung des Herstellungswerts
  2. Kürzung der Restnutzungsdauer
  3. Abschläge nach Erfahrungssätzen
  4. Ermittlung der Schadensbeseitigungskosten

Die unter 3. und 4. genannten Verfahren sind nur dann zulässig, wenn nicht bereits eine Kürzung der Restnutzungsdauer oder Herstellungskosten vorgenommen wurde (1. oder 2.). Die Wahl des Verfahrens liegt grundsätzlich im Ermessen des Gutachters und sollte sich an der weiteren Verwendung der gewonnenen Daten orientieren. Für eine grundlegende Feststellung der Vermögenswerte dürften die beiden ersten Methoden zu hinreichend genauen Ergebnissen führen. Eine sachgerechte Kürzung des Herstellungswertes oder der Restnutzungsdauer bei Mängeln einzelner Gewerke bedarf des Urteils eines erfahrenen Sachverständigen. Die Kürzung der Restnutzungsdauer kommt dann in Betracht, wenn irreversible Bauschäden vorliegen.
Für die Bilanzierung und die Erstellung eines Wirtschaftsplanes ist eine detailliertere Schadenerfassung häufig zweckmäßig. Die Bildung von Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen setzt grundsätzlich voraus, dass die Schadenbeseitigungskosten detailliert nach Gewerken ermittelt werden. Dabei werden die Wiederherstellungskosten der mangelhaften Gewerke auf der Basis von Einheitspreisen festgestellt. Eine Zustandsklassifizierung gibt Auskunft über Umfang und Dringlichkeit der einzelnen Maßnahmen. Beim Einsatz mehrerer Bewertungsteams ist darauf zu achten, dass regelmäßig eine Abstimmung hinsichtlich der verwendeten Einheitspreise, der Berücksichtigung von Baunebenkosten sowie in Bezug auf die Nutzung von Ermessensspielräumen erfolgt.
Abschläge am Gebäudewert für Schadensbeseitigungskosten lassen sich auch weniger aufwändig, basierend auf Erfahrungssätzen kalkulieren. Hierbei können Anteile der einzelnen Gewerke am gesamten Bauwerk gebäudetypspezifisch bezogen auf die Herstellungskosten ermittelt werden. Eine Grundlage hierfür bilden z.B. die Kostengruppen 300 und 400 nach DIN 276. Der Gutachter kann nach eigenem Ermessen die erforderlichen Kosten mittels Abschlägen zwischen 0% (mängelfrei) und 100% (Totalschaden) für die einzelnen Gewerke schätzen.

Schlusswort

Auf Grund ihrer langfristigen Auswirkung sollte die Immobilienbewertung mit einer langfristigen Finanz- und Erfolgsplanung verknüpft werden, um die Haushaltsauswirkungen abschätzen zu können. Beispielsweise sollte sichergestellt sein, dass für die in der Eröffnungsbilanz gebildeten Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungen in Zukunft auch ausreichende Mittel für die Nachholung der Maßnahmen bereitstehen.
Gregor Chrobot, KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft Köln

1 Wertermittlung in der Fassung vom 6. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2209) zuletzt geändert am 18. August 1997
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