„Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten“ lautet das Motto des 31. Oldenburger Rohrleitungsforums. Was bedeutet die Digitalisierung der Arbeitswelt für unsere Rohrleitungsnetze? Was können die zunehmend sicher anwendbaren Systemlösungen zum Beispiel für den optimierten Betrieb von Netzen beitragen? Was erwarten wir für die Zukunft? Mit dem Aufgreifen dieser Fragen führt das Forum konsequent den roten Faden der letzten Veranstaltungen fort und erfüllt den Anspruch, nicht nur den Finger am Puls der Zeit zu haben, sondern vorauszuschauen und damit Impulse für die ganze Branche zu geben.

„Die Leitungsnetze stehen und werden betrieben. Um diese Prozesse zu optimieren und für die Zukunft fit zu machen, bedarf es der Sammlung von enormen Datenmengen“, erläutert Prof. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident der Jade Hochschule. „Wie das gehen kann, wie man die Daten einsetzen kann, aber auch welche Gefahren mit dem Umgang auf uns zukommen könnten – für diese Diskussionen haben wir in diesem Jahr den fachlichen Rahmen geschaffen.“

In Bezug auf den Bau und Betrieb von Rohrleitungen und Anlagen ist schon heute die umfassende Zustandsbewertung von Anlagen, Leitungen und Vermögenswerten auf der Basis belastbarer Daten Grundlage für die Entwicklung von Sanierungsstrategien und effektiven Investitionsmanagementsystemen. Methoden wie das Building Information Modeling (BIM) machen Daten von der Planung über den Bau einer Anlage oder einer Leitung über den Betrieb und Umbau bis zum Abriss verfügbar und somit nutzbar.

Damit sind alle miteinander verbunden, jeder kann auf alle Daten zurückgreifen und es wird elektronisch miteinander kommuniziert. Für Wegener gibt es zu diesem Szenario keine Alternativen: Wer nicht mitmacht, steht außen vor. Deshalb müssen sich auch der Leitungsbau sowie die Netzbetreiber und Versorger – sofern nicht längst geschehen – möglichst schnell in den Prozess der Digitalisierung einbinden, ist er überzeugt.

Chance und Risiko zugleich

Dabei bietet die Digitalisierung Chance und Risiko zugleich. Hierin befindet sich Wegener im Schulterschluss mit Prof. Dr.-Ing. habil. Gerd Buziek, Mitglied des Hochschulrates der Jade Hochschule, und Unternehmenssprecher Esri Deutschland Group GmbH, Kranzberg. Dieser weist darauf hin, dass Entwicklungszyklen der Wirtschaft Zeiträume von 30 bis 50 Jahren abdecken. „Stets waren Schlüsseltechnologien wie Dampfmaschinen, Petrochemie und Elektrizität die Motoren neuer Wirtschaftsprozesse“, so Buziek, „heute haben Internettechnologien die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung stark geprägt, so dass dieser vierte ökonomische Entwicklungszyklus insbesondere durch die Vernetzung von Informationen eine erhebliche Prägung erfährt.“

Schlagworte wie „Wissensgesellschaft“, „Digitale Gesellschaft“, „Gigabit-Gesellschaft“, „Digitalisierung“, „Digitale Transformation“, „Internet der Dinge“, „Open Data“ und nicht zuletzt auch „Industrie 4.0“ sind Zeugnis dieses Prozesses und prägen die öffentliche Debatte. „Wir erkennen zudem die Konvergenz von Technologien als ein weiteres wesentliches Innovationsmerkmal“, so Buziek. Die Digitalfotografie, der 3D-Druck, Drohnen, die digitale Mauterhebung und hochautomatisiert fahrende Autos sind erst durch die neuartige Kombination von Informationstechnologien möglich geworden.

Sie sind erste Zeugen eines gewaltigen Innovationspotenzials, das durch Miniaturisierung, Automatisierung, Sensorvernetzung, Big Data Analytik und Informationsgenerierung künftig weiter erschlossen wird. Dies schlägt auch auf den Planungs- und Baubereich durch. So werden wir in naher Zukunft erleben ob das „virtuelle Bauen“ nach der „Building Information Modeling“-Methode zu einer wirklichen Planungs- und Kostenrisikominimierung bei Großbauprojekten führen wird.

Mit smarten Entscheidungen Grenzen definieren

„Die ersten technologischen und geschäftlichen Erfahrungen sind positiv, und die Perspektiven sind aus deutscher und europäischer Sicht gut“, wirft Buziek einen Blick in die digitale Zukunft. Digitalstrategien sind hierzulande auf Bundes- und Länderebenen formuliert und werden umgesetzt. Digitalisierung hat zu effektiveren Arbeitsprozessen, Workflows und neuen – meist globalen – Produkten und Geschäftsmodellen geführt.

Eine Entwicklung, die Chancen und Risiken gleichermaßen birgt. Einerseits werden smarte Anwendungen das tägliche Leben erleichtern und in Teilen auch sicherer und planbarer machen. Andererseits stellt sich die Frage, ob eine transparente Informationslage und offene Datenverfügbarkeit auch tatsächlich zu mehr Partizipation und zu einer gut informierten Gesellschaft führen, damit dann im Sinne eines globalen Gleichgewichts und einer ausgeglichenen nachhaltigen Entwicklung „smarte“ Entscheidungen getroffen werden können.

So rückt bei einer Betrachtung der „Grenzen der Digitalisierung“ unmittelbar der „Faktor Mensch“ in den Mittelpunkt der Debatte. Dabei geht es weniger darum, das technisch Machbare zu realisieren oder in Geschäftsmodelle umzusetzen. Es ist vielmehr die Frage, ob Volkswirtschaften dazu bereit sind, im Sinne einer globalen nachhaltigen Entwicklung auf der Basis einer gesicherten und verständlichen Informationslage „smarte“ Entscheidungen zu treffen. Denn diese allein definieren die „Grenzen der Digitalisierung“.

Vieles im Wandel

Vieles scheint im Wandel begriffen zu sein. Dieser Meinung schließt sich Dipl.-Kfm. Karsten Specht, Kaufmännischer Geschäftsführer des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes (OOWV), Brake, an. Als Beispiel führt er die Wasserwirtschaft an: „Stärker denn je machen wir uns technische Möglichkeiten wie die Simulation und Modellierung von Entwicklungen zu Nutzen“, so Specht. „Die fortschreitende Digitalisierung und intelligente Steuerungstechnik werden die Zukunft der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung maßgeblich bestimmen. Der technische Fortschritt ist die Basis für Prozessoptimierungen und Unternehmensstrategien.“ Specht nennt Beispiele wie die 3D-Technik: Anhand dreidimensionaler Untergrundmodelle wird die Beschaffenheit des Bodens in Wasserschutzgebieten anschaulich gemacht. Diese Möglichkeit ist nicht nur in Wasserrechtsverfahren hilfreich, sondern auch in der Frage der langfristigen Versorgungssicherheit und des Ressourcenschutzes.

Leistungsfähigkeit der Netze verbessern

Auch der Umgang mit Starkregenereignissen spielt weiterhin eine herausragende Rolle. Sturzfluten sind längst zu einer bedeutenden Aufgabe für die Stadtentwicklung geworden. „Wir arbeiten Hand in Hand mit Kommunen, um die Folgen von Starkregenereignissen zu minimieren“, erklärt Specht. „Durch intelligente Systeme gilt es, die Leistungsfähigkeit der Entwässerungssysteme zu verbessern.“

Darüber wird im Rahmen des Oldenburger Rohrleitungsforums ebenso berichtet, wie über Starkregengefahrenkarten, die im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und Datenverfügbarkeit – etwa in Form digitaler Geländemodelle – in den letzten ein bis zwei Jahren von vielen Kommunen bzw. Kanalnetzbetreibern in Deutschland erstellt werden konnten. Der OOWV hat solche digitalen Gefahrenkarten für die Städte Oldenburg und Elsfleth im letzten Jahr erarbeitet; weitere Karten sind in Planung.

Mit Hilfe dieser Karten können besonders gefährdete Bereiche sehr exakt erkannt und vorsorgliche Objektschutzmaßnahmen ergriffen werden. Die Herausforderung der Digitalisierung wird darin bestehen, gewonnene Erkenntnisse und Daten zusammen zu führen. Dann lassen sich die richtigen Schlüsse – mit Hilfe eines Kanalinformationssystems für beispielsweise Instandhaltungs- und Betriebsführungsstrategien, ziehen.

„Der OOWV hat allein im Jahr 2015 rund 30 Millionen Euro in die Infrastruktur für die Trinkwasserversorgung und 19 Millionen Euro in die Abwasserinfrastruktur investiert“, verdeutlicht Specht. „Die Rohrnetzlänge beträgt im Trinkwasserbereich 14.141 Kilometer, im Abwasserbereich sind es 4.307 Kilometer. Diese Zahlen belegen die Herausforderungen, denen wir uns in der Sicherstellung der Ver- und Entsorgung stellen müssen.“

Mehr Sicherheit durch Digitalisierung

Vielfältige Herausforderungen sieht auch Dr.-Ing. Michael Steiner: „Um einen dauerhaft sicheren Betrieb von Gashochdruckleitungen sicherzustellen, sind höchste sicherheits- und umweltrelevante Funktionen notwendig“, erläutert der Leiter Integrität, Open Grid Europe GmbH, Essen. So sei für alle Beteiligten beim Neubau, beim Betrieb und bei der Instandhaltung insbesondere die integrierte Nutzung der wesentlichen Rohrleitungsdaten enorm wichtig. Der einfache Zugriff auf die benötigten Daten über die gesamte Lebensdauer einer Gashochdruckleitung – von der Rohrherstellung bis hin zum langjährigen Betrieb – sei von sehr großem Nutzen, so dass sich hier eine digitale Dokumentation als sehr vorteilhaft darstelle.

Aus diesem Grund seien die Energieversorgungsunternehmen sowie der DVGW Deutscher Verein des Gas und Wasserfaches e. V. permanent bestrebt, die Digitalisierung der wesentlichen Informationen über die Gasinfrastruktur zur Gewährleistung von Sicherheit und Verfügbarkeit voranzutreiben. „Eine wesentliche Grundlage für die Sicherstellung des integren Zustandes der Gashochdruckleitungen bildet hier der einfache Zugriff auf eine aktuelle und digitale Datenbasis aus Geoinformationssystemen (GIS), Pipeline Integritätssystemen (PIMS) oder modernen Inspektionsverfahren“, so Steiner weiter.

Während beim Neubau eine Digitalisierung durch moderne Technologien wie beispielsweise Barcodescanner mit GPS-Funktion oder komplett digitale Rohrzeugnisse sehr einfach zu erstellen und abzulegen sind, kann der Datenbestand von bereits betriebenen Leitungen teilweise erst im Nachhinein digitalisiert werden. Inhalte von Bestandsdaten und einer Netzdokumentation hat ebenfalls der DVGW bei der Regelwerkserstellung vertieft.

Die aktuellste Maßnahme in diesem Zusammenhang bildet die gerade von zahlreichen Betreibern aus der Gas-, Chemie- und Ölbranche eingeführte Initiative BIL, ein „Bundesweites Informationssystem zur Leitungsrecherche“. Ziel hier ist eine einfache Leitungsauskunft bei Bauanfragen durch ein zentrales Anfrageportal, um mögliche Schäden an Gashochdruckleitungen durch Dritte noch weiter zu reduzieren und sie damit noch sicherer betreiben zu können.

Zur Digitalisierung gibt es keine Alternative. Eile ist für die geboten, die den Zug, der bereits gewaltig an Fahrt aufgenommen hat, nicht verpassen wollen. Mitmachen und aufholen lautet die Devise für die Branche. Denn wer mitmacht, der wird auch belohnt – auch mit dieser Einschätzung steht Prof. Wegener nicht alleine. „Versorgern, Netzbetreibern und Unternehmen, die sich mit den sich bietenden digitalen Möglichkeiten auseinandersetzen, bietet sich ein enormes Potenzial in der Wertschöpfung. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass zunächst einmal investiert werden müsse, zum Beispiel in Technik und gut ausgebildete Mitarbeiter.

Weitere Informationen unter:
www.iro-online.de
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